Ottifant hat geschrieben:wahrscheinlich deshalb, weil auch ich mich entwickle, aber nicht in die gleiche Richtung wie die Praxis.
Ja verständlich, dass man sich dann mal weiter entwickelt - vor allem wenn man liest wie sich dein Arbeitsumfeld verändert hat. Das ist definitiv nicht mehr dieselbe Stelle wie vor 23 Jahren. Aber ich finde es schon beeindruckend so lange am selben Ort zu bleiben. Ich werde nächstes Jahr im Juli das erste mal überhaupt ein 5-jähriges feiern können
Ottifant hat geschrieben:Dies zu meinen Beweggründen, mich würde interessieren, wie dein Berufswunsch entstanden ist...
Ups, naja, eine kurze Version dieser Geschichte gibt es wohl nicht - aber ich versuche eine mittlere daraus werden zu lassen, ich muss aber trotzdem etwas ausholen.
Als Primarschüler hatte ich riesigen Spass an Sprachen was dazu führte, dass ich nach der 5. Klasse ans Gymnasium wechselte. Etwa mit 16 Jahren hatte ich eine grosse Krise - ich merkte, dass ich eigentlich gar nicht studieren wollte und habe begonnen mich für eine Lehre zu interessieren. Da war das erste mal der Gedanke, dass Bestatter etwas für mich werden sein könnte. Aber zu Hause galt das als krank und sowieso, wenn ich die Chance hätte studieren zu können dann hätte ich zu studieren. Ironie an der Geschichte, als ich dann die Matura hatte, teilten mir meine Eltern noch während der offiziellen Maturafeier mit, dass sie mich rausschmeissen würden, weil jemand mit einer Lehre mit 20 ja auch auszieht und man keinesfalls vorhabe mir ein Studium zu finanzieren. Aber das ist eh eine andere Geschichte, es war ein Elternhaus voller Gewalt, täglich.
Der Tod war bei uns zu Hause immer ein grosses Tabu - vielleicht hat das dazu geführt, dass er mich so fasziniert - und ein Teil ist sicher auch weil ich nie richtig an den Tod herangeführt worden bin. Ich habe bis jetzt erst einen Toten gesehen, da war ich 8 Jahre alt - es war meine an Krebs gestorbene Tante. Meine Eltern wollten es zuerst nicht zulassen das ich sie aufgebahrt sehe, aber mein Onkel hat mich dann mitgenommen. Mich hat der Anblick dann tatsächlich verstört, aber nicht weil ich Angst vor der Leiche hatte wie meine Eltern angenommen haben, sondern weil ich sie im Leben nicht so schön und friedlich in Erinnerung hatte wie tot im Sarg. Wenn man mir dort vermittelt hätte, dass der Tod eben ein Bestandteil des Lebens ist und das er auch eine Erlösung sein kann hätte ich das verstanden - so hingegen blieb für mich die Diskrepanz zwischen dem geschilderten Schrecken des Todes und der friedlichen verstorbenen Tante. Gebüsst habe ich dann dafür als meine Grossmutter sterbenskrank im Spital war. Ich hatte sie vor der Spitaleinweisung ein bis zweimal in der Woche besucht, ein bisschen Gesellschaft geleistet, Rasen gemäht und mich Enkel-mässig kulinarisch verwöhnen lassen
Aber als sie im Spital war habe ich sie nicht einmal besucht - der Gedanke sie an Schläuche angeschlossen im sterben zu sehen hat mich komplett fertig gemacht. Als dann nach etwa 2 Wochen um 3 Uhr früh das Telefon vom Spital kam, dass sie verstorben war zerbrach in mir eine Welt. Und wieder haben meine Eltern nicht kapiert wie ich mit Trauer umgehe. Obwohl es mir an dem Tag sehr schlecht ging und ich fast nicht mehr konnte vor Selbstvorwürfen, prügelten sie mich wortwörtlich in die Schule. Es wurde mir dann auch verwehrt sie aufgebahrt ein letztes mal zu sehen weil ich ja nach dem Erlebnis mit meiner Tante "so schlecht geschlafen habe".
Ich hatte jahrelang ein schlechtes Gewissen und kam kaum über den Tod von meinem Grosi weg bis ich mich dann mal lange an ihr Grab gesetzt und mich mit ihr ausgesprochen habe - es klingt seltsam, aber es gibt sicher Leute die das verstehen
Dann gibt es noch zwei Erlebnisse bei denen ich fast gestorben wäre, einmal fast ertrunken und einmal wegen einer Krankheit. Beim letzteren mal hatte ich über Wochen immer stärker werdende Schmerzen, als ich dann als Notfall ins Spital eingeliefert wurde war es schon fast zu spät. Aber zwei Dinge wurden mir dort klar:
- es kommt ein Punkt an dem es einfach in Ordnung ist zu sterben und in dem Moment hat man auch keine Schmerzen mehr.
- Man sollte jederzeit seine weltlichen Dinge in Ordnung halten. Das erste was ich gemacht habe als es mir wieder besser ging war meine finanziellen Verhältnisse so zu regeln, dass mein Bruder und meine damalige Freundin (heute meine Frau) versorgt sind.
Trotzdem machte ich mit meinem Trott weiter, wohl auch weil ich in meinem Leben schlicht noch nicht bereit war. Manchmal habe ich ganz offen gesagt das Gefühl, dass ich mit meiner geistigen Reife lange meinem biologischen Alter hinterhergehinkt bin - wohl auch weil ich auch so lange brauchte um die Erlebnisse meiner Kindheit und Jugend aufzuarbeiten und einzuordnen. Der Diabetes war ein gewichtiger Schritt vorwärts. Der hat mich gezwungen mein Leben wirlich in die eigene Hand zu nehmen.
Und danach kamen die alten Sehnsüchte und Träume wieder hoch, ich bin zwar ziemlich gut in meinem Job und verdiene heute auch sehr gut. Aber es ist halt nicht erfüllend. In meinem Umfeld werde ich zwar beneidet wegen meinem Lohn und weil ich mein Hobby zum Beruf machen konnte, aber Geld ist nicht alles (und habe ich trotzdem immer zu wenig
) und wer mit seinem Hobby Geld verdienen muss der hat kein Hobby mehr. Aber ich war hier in einem Trott, dass ich unbedingt Geld verdienen muss weil meine Frau und ich ja noch Kinder wollen. Ich arbeite zwar im Bereich Radioonkologie, kann also schon was gutes leisten - aber auf einer sehr abstrakten Ebene.
Und da ich schon immer etwas "soziales" machen wollte und viele Dinge einfach nicht in Frage kommen, ich habe mich bewusst gegen ein Studium der Medizin, Psychologie oder Theologie entschieden, bleibt nicht vieles übrig
. Theologie ist ein Studium das mich zwar bis heute fasziniert - ich bezeichne mich auch als gläubig aber eben nicht als religiös. Ich kann mich einfach nicht zur Kirche bekennen - geht nicht, also kann ich auch nicht ehrlich Theologie studieren.
Tja und dann bleibt irgendwie der Beruf des Bestatters respektive ehrenamtliche Hospiz-Arbeit.
Die Hospiz-Arbeit ist quasi mein Notnagel wenn ich nicht aus meinem jetzigen Beruf rauskomme. Der Bestatter ist für mich aber ein wunderbares Bindeglied zwischen Tod und Leben. Jeder trauert anders und ich möchte gerne den Lebenden ermöglichen ihre Art der Trauer leben zu können. Und ich empfinde es als höchste Ehre einen Verstorbenen einzusargen - nie ist der Mensch so verletzlich wie in seinem Tod. Klingt wieder bescheuert, aber es gibt sicher Leute die es verstehen
Ich wünschte jedenfalls, dass meine Toten von einem Bestatter abgeholt werden der sie immer noch als Menschen sieht, und nicht von dem, der sie wie totes Fleisch in eine Kiste wirft wie eine Kollegin die als Pflegerin in einem Altersheim arbeitet im Zusammenhang mit einem bestimmten Bestatter erzählt.
Ich denke ich möchte als Bestatter den Menschen wieder ermöglichen dem Tod Raum in ihrem Leben zu geben - ars moriendi und ars vivendi sind kein Gegensatz, sondern zusammenhängende Pole. Die Lebenden sollen ihre Toten wieder sehen dürfen wenn sie das wünschen, sie sollen Zeit und Raum haben für ihre Rituale. Und ganz praktisch, ich bin einfach saugerne Dienstleister
Der initiale Auslöser war ein langes Gespräch mit einer Kollegin der eine 15-jährige Beziehung zerbrochen ist und die nun nach einer Trauerphase Vollgas gibt, aber so richtig das Leben umkrempelt und mit viel Energie was ganz neues anfängt. Und da habe ich mir gesagt, ich muss doch nicht warten bis mir eine Beziehung zerbricht bis ich was Neues wage....
Übrigens, auch meine Frau hat mir jetzt gestern gesagt, dass sie eigentlich auch genug hat und was neues probieren möchte... manchmal denke ich, in die schlimmsten Gefängnisse sperren wir uns selbst - aber wir haben auch den Schüssel um wieder rauszukommen