Humbug mit der Ernährungsampel
Verfasst: Mo 26. Nov 2018, 13:45
Artikel im "Beobachter" Nr. 24 / November 2018:
DIE AMPEL STEHT AUF HUMBUG
Lebensmittelhersteller haben ein Gesundheitslabel erfunden – und tricksen damit. Selbst purer Zucker soll nicht ungesund sein.
Der Plan der Lebensmittelhersteller war genial. So genial, dass es selbst Mars zu viel wurde. «Wir sind zum Schluss gekommen, dass der Ansatz gegenwärtig nicht über genug Glaubwürdigkeit […] verfügt», teilte der Schoggiriegel-Hersteller im Frühjahr mit.
Die Industrie hatte das eigene Ampel-Label derart verwässert, dass Mars nicht mehr mitmachen wollte. Es verspreche Klarheit, streue den Kunden aber Sand in die Augen. Man wünsche sich ein Label, das weniger interpretationsbedürftig sei, liess der US-Konzern verlauten.
Trotz Misstönen führt die Allianz aus fünf grossen Lebensmittelkonzernen ihr fragwürdiges Ampelsystem nun in Europa ein. Coca-Cola hat es in der Schweiz vor einigen Wochen lanciert. Nestlé wird mit einzelnen Produkten bald folgen. Unilever, Mondelez und Pepsico ebenso.
Bloss nicht Rot anzeigen.
Das Label wird bald auf der Vorderseite vieler Verpackungen leuchten. Mit dem Ampelsystem wollen die Hersteller angeblich den Konsumenten helfen, sich «ausgewogen und bewusst» zu ernähren. Die Nährwertkennzeichnung basiert weitgehend auf den Grundlagen der Britischen Agentur für Lebensmittelnormen. Doch die Industrie-Ampel springt viel seltener auf Rot als die staatlich geprüfte britische. Das freiwillige Industrie-Label zeigt nicht einmal dann die Warnfarbe Rot, wenn ein Produkt zu 90 Prozent aus Zucker und Fett besteht, etwa Kinder-Schokolade.
Den Konzernen gefiel zwar das simple System. Nicht aber die Skala, die dahintersteckt. Also erfanden sie den Portionentrick: Wenn eine «Portion» kleiner ist als 60 Gramm, darf sie viel ungesünder sein als bei den Briten. Ein Müesli mit einem Zuckeranteil von 45 Prozent etwa hat so keinen «hohen» Zuckeranteil, sondern einen «durchschnittlichen». Statt Rot zeigt die Industrie-Ampel in diesem Fall Orange.
Zum Teil nehmen die Hersteller an, Erwachsene würden nur 30 Gramm Müesli zum Frühstück essen. Deshalb sei es über den ganzen Tag gerechnet in Ordnung, wenn darin 45 Prozent Zucker steckten. Zum Vergleich: Die britische Ampel springt auf Rot, sobald ein Lebensmittel mehr als 22,5 Prozent Zucker enthält. Unabhängig von der Portionengrösse.
Der Portionentrick hat absurde Folgen: Bei Kinder-Schokolade könnte die Zucker-Ampel selbst dann nicht auf Rot springen, wenn das Produkt zu 100 Prozent aus Zucker bestünde.
Denn der Hersteller geht davon aus, dass man üblicherweise nur ein einziges Schoggi-Reiheli pro Tag isst. Diese «Portion» ist mit 12,5 Gramm so klein, dass der Zucker darin die «empfohlene Tagesdosis» gar nicht übersteigen kann. Gemäss Definition der Industrie hat also selbst purer Zucker nicht zwingend einen hohen Zuckeranteil.
Gesamter Artikel mit Ernähungsampeln:
DIE AMPEL STEHT AUF HUMBUG
Lebensmittelhersteller haben ein Gesundheitslabel erfunden – und tricksen damit. Selbst purer Zucker soll nicht ungesund sein.
Der Plan der Lebensmittelhersteller war genial. So genial, dass es selbst Mars zu viel wurde. «Wir sind zum Schluss gekommen, dass der Ansatz gegenwärtig nicht über genug Glaubwürdigkeit […] verfügt», teilte der Schoggiriegel-Hersteller im Frühjahr mit.
Die Industrie hatte das eigene Ampel-Label derart verwässert, dass Mars nicht mehr mitmachen wollte. Es verspreche Klarheit, streue den Kunden aber Sand in die Augen. Man wünsche sich ein Label, das weniger interpretationsbedürftig sei, liess der US-Konzern verlauten.
Trotz Misstönen führt die Allianz aus fünf grossen Lebensmittelkonzernen ihr fragwürdiges Ampelsystem nun in Europa ein. Coca-Cola hat es in der Schweiz vor einigen Wochen lanciert. Nestlé wird mit einzelnen Produkten bald folgen. Unilever, Mondelez und Pepsico ebenso.
Bloss nicht Rot anzeigen.
Das Label wird bald auf der Vorderseite vieler Verpackungen leuchten. Mit dem Ampelsystem wollen die Hersteller angeblich den Konsumenten helfen, sich «ausgewogen und bewusst» zu ernähren. Die Nährwertkennzeichnung basiert weitgehend auf den Grundlagen der Britischen Agentur für Lebensmittelnormen. Doch die Industrie-Ampel springt viel seltener auf Rot als die staatlich geprüfte britische. Das freiwillige Industrie-Label zeigt nicht einmal dann die Warnfarbe Rot, wenn ein Produkt zu 90 Prozent aus Zucker und Fett besteht, etwa Kinder-Schokolade.
Den Konzernen gefiel zwar das simple System. Nicht aber die Skala, die dahintersteckt. Also erfanden sie den Portionentrick: Wenn eine «Portion» kleiner ist als 60 Gramm, darf sie viel ungesünder sein als bei den Briten. Ein Müesli mit einem Zuckeranteil von 45 Prozent etwa hat so keinen «hohen» Zuckeranteil, sondern einen «durchschnittlichen». Statt Rot zeigt die Industrie-Ampel in diesem Fall Orange.
Zum Teil nehmen die Hersteller an, Erwachsene würden nur 30 Gramm Müesli zum Frühstück essen. Deshalb sei es über den ganzen Tag gerechnet in Ordnung, wenn darin 45 Prozent Zucker steckten. Zum Vergleich: Die britische Ampel springt auf Rot, sobald ein Lebensmittel mehr als 22,5 Prozent Zucker enthält. Unabhängig von der Portionengrösse.
Der Portionentrick hat absurde Folgen: Bei Kinder-Schokolade könnte die Zucker-Ampel selbst dann nicht auf Rot springen, wenn das Produkt zu 100 Prozent aus Zucker bestünde.
Denn der Hersteller geht davon aus, dass man üblicherweise nur ein einziges Schoggi-Reiheli pro Tag isst. Diese «Portion» ist mit 12,5 Gramm so klein, dass der Zucker darin die «empfohlene Tagesdosis» gar nicht übersteigen kann. Gemäss Definition der Industrie hat also selbst purer Zucker nicht zwingend einen hohen Zuckeranteil.
Gesamter Artikel mit Ernähungsampeln: