Fünf Tage Onkologie-Abteilung

Das ist der Platz für all das was sonst nirgends reinpasst
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Bradley

Fünf Tage Onkologie-Abteilung

Beitrag von Bradley »

Ich arbeite für einen Hersteller von Bestrahlungsgeräten die in der Radio-Onkologie, also Strahlentherapie bei Tumor-Erkrankungen, eingesetzt werden. Vom letzten Freitag bis Dienstag war ich nun bei einem Kunden in Deutschland um ein Upgrade auf eine neue Version unserer Software mitzuverfolgen. Da sie auch ein Neubau erstellt und neue Geräte bestellt haben, durfte ich da auch gleich mit reinschnuppern.

Es war für micht von der technischen Seite her sehr interessant das mitverfolgen zu können.

Auf der anderen Seite wird man ganz schön nachdenklich wenn man fünf Tage auf einer Onkologie-Station verbringt. Ich hatte schon immer eine hohe Meinung vom Klinikpersonal, aber es ist doch beeindruckend zu sehen wie sich das Personal vom Druck Geld zu verdienen - der ganz offensichtlich herrscht - nicht davon abbringen lassen Menschlichkeit in den Klinik-Alltag zu bringen. Und das ist dringend nötig auf einer solchen Station.

Die ganze Bandbreite von Hoffnung bis Resignation mit all ihren Konsequenzen die durch eine Krebserkankung einhergeht wird einem an einem solchen Ort gnadenlos vor Augen geführt. Mütter die von ihren Männern mit kleinen Kindern besucht werden, Patienten die im Bett auf dem Gang in erschütternder Verfassung auf Ihre Behandlung warteten und ich nicht wusste ob die am anderen Tag noch leben, der Bestattungswagen der am morgen vorfährt und dann wieder ein Paar, wohl in ihren 80'ern, das händchenhaltend in grosser Vertrautheit durch die Gänge ging und Dankeskarten in den Personal-Räumen von Menschen die eine weitere Chance bekommen haben, manchmal auch heirateten und Eltern geworden sind.

Wenn es Tage gibt an denen wir mit unserem Diabetes hadern, sollten wir uns vor Augen führen, dass jeder Mensch seine Prüfungen im Leben zu bestehen hat. Ich hoffe diese Tage haben mich nicht nur beruflich weitergebracht sondern auch menschlich.

Gruss Bradley
Nike

Re: Fünf Tage Onkologie-Abteilung

Beitrag von Nike »

Da hast Du Recht, es gibt viele Menschen, die schlimmeres als eine Diabetes zu tragen haben. Und es ist sinnvoll und macht auch dankbar, ab und zu über den eigenen Tellerrand zu gucken.

Grüessli Nike
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Herr_Koch
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Re: Fünf Tage Onkologie-Abteilung

Beitrag von Herr_Koch »

Ich musste im Zivilschutz mal jemanden aus der Radio-Onkologie im USZ abholen. Ganz tief im Keller unten, sah fast aus wie in einem Atomreaktor.

War froh, als ich da wieder weggekommen bin. Ganz komisch, die Stimmung da. Darum auch wirklich Hochachtung an alle, die täglich da ihre wertvolle Arbeit verrichten.
Bradley

Re: Fünf Tage Onkologie-Abteilung

Beitrag von Bradley »

Nike hat geschrieben:Da hast Du Recht, es gibt viele Menschen, die schlimmeres als eine Diabetes zu tragen haben.
Ich würde Krankheiten nicht qualifizieren. Es gibt auch Krebs-Erkankungen die du heute überlebst, ohne dass es eine grosse Sache ist.

Leiden ist etwas sehr subjektives und ich bin mir sicher, nicht jeder Krebskranker möchte mit einem Diabetiker tauschen. Sterben müssen wir schlussendlich alle und ich gelange immer mehr zur Erkenntnis, dass alles im Leben seinen Grund hat.

Aber über den Tellerrand schauen hilft insoweit, dass man sich selbst nicht zu wichtig nimmt, darauf wollte ich hinaus.

Gruss Bradley
Bradley

Re: Fünf Tage Onkologie-Abteilung

Beitrag von Bradley »

Herr_Koch hat geschrieben:War froh, als ich da wieder weggekommen bin. Ganz komisch, die Stimmung da. Darum auch wirklich Hochachtung an alle, die täglich da ihre wertvolle Arbeit verrichten.
Das ging mir am Anfang auch so, ich war froh wieder wegzukommen.
Inzwischen berührt mich das ganze immer noch sehr, wie wohl jeden Menschen der nicht absolut Gefühlskalt ist. Aber wenn man längere Zeit auf dieser Station ist oder wie ich jetzt schon das wiederholte Mal, dann sieht man eben neben den belastenden Dingen wie Furcht, Hoffnungslosigkeit und Tod auch die schönen Seiten. Die Hoffnung, die Lebensfreude und Dankbarkeit für die Hilfe die man bekommt. Ich denke es sind die letzteren Dinge die den Menschen die täglich auf einer solchen Station arbeiten es überhaupt ermöglichen die Erlebnisse emotional durchzustehen. Aber für mich wäre es auf Dauer nichts.

Für mich war das schönste Bild das ich mitnehme, dass Bild des alten Paares, ich schätzte sie auf 80 Jahre, die händchenhaltend durch den Spital gingen. Einer von beiden geht zurzeit wohl einen schweren Weg, aber die Vertrautheit und das Vertrauen ineinander und die Liebe zueinander die die beiden ausstrahlten war unglaublich stark. Ich musste sofort an meine bevorstehende Hochzeit denken. Wenn ich in dem Alter das Glück habe so mit meiner Frau leben zu können, dann werde ich ein glückliches und zufriedenes Leben gehabt haben - völlig egal was bis dahin kommen mag und später noch kommen sollte.

Wenn man den ersten Eindruck einer Onkologie-Abteilung überwinden kann, hat man da die Chance zu erkennen was wirklich wichtig ist im Leben.

Gruss Bradley
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hut
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Re: Fünf Tage Onkologie-Abteilung

Beitrag von hut »

... hat man die Chance, zu erkennen, was wirklich wichtig ist im Leben
Ich denke, das ist eine ganz grundlegende Erkenntnis. Sich selbst nicht all zu wichtig zu nehmen, etwas weiter, als den eigenen Schattenwurf zu sehen und nit dem zufrieden zu sein, was man hat.
So gesehen sollen wir unseren Diabetes zwar ernst nehmen, aber keinerfalls überbewerten, sondern einfach möglichst gut damit leben.
Wer einen Tippfehler findet, darf ihn behalten, ich besitze noch einen genügenden Vorrat davon!
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Nike

Re: Fünf Tage Onkologie-Abteilung

Beitrag von Nike »

Bradley hat geschrieben:
Nike hat geschrieben:Da hast Du Recht, es gibt viele Menschen, die schlimmeres als eine Diabetes zu tragen haben.
Ich würde Krankheiten nicht qualifizieren. Es gibt auch Krebs-Erkankungen die du heute überlebst, ohne dass es eine grosse Sache ist.

Leiden ist etwas sehr subjektives und ich bin mir sicher, nicht jeder Krebskranker möchte mit einem Diabetiker tauschen. Sterben müssen wir schlussendlich alle und ich gelange immer mehr zur Erkenntnis, dass alles im Leben seinen Grund hat.

Gruss Bradley
Warum nicht? Fusspilz ist weniger schlimm als Krebs und Schnupfen weniger schlimm als MS. Ich denke, jeder klassifiziert Krankheiten. Auch die Medizin teilt ja in heilbar oder nicht heilbar, chronisch oder vorübergehend, gut oder schlecht behandelbar.

Natürlich stimmt es, zwei mit der gleichen Krankheit müssen die nicht gleich erleben oder gleich stark darunter leiden. Wobei das auch noch damit zu tun hat, dass bei jedem die Krankheit etwas anders ist. Manche haben die stärkste Form der Krankheit, bei anderen verläuft sie etwas milder.

Stimmt auch, sterben müssen wir alle. Sowohl eine Tante wie auch ein Bekannter sind an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Wenn man die Diagnose bekommt, ist man in der Regel in sechs Monaten tot. Das ist das Brutale. Die Endlichkeit wird dir gnadenlos vorgeführt und es bleibt den Betroffenen und Angehörigen keine andere Wahl, als sich damit auseinander zu setzen. Darum empfinde ich z.B. Krebs als viel schlimmer als Diabetes.

Grüessli Nike
Mira Belle

Re: Fünf Tage Onkologie-Abteilung

Beitrag von Mira Belle »

Bradley

Danke, für die wunderschön geschriebenen Zeilen. Im ersten Beitrag wie auch die Beschreibung des alten Ehepaares. Ich denke auch, dass man Krankheiten nicht so einstufen kann. Klar ist ein Schnitt in den Finger viel weniger schlimm als vieles anderes aber Krankheiten und Leiden, die ähnlich sind lassen sich nicht messen oder einteilen. Ich denke auch die psychische Stärke oder das Umfeld (Mitmenschen, Stellung oder die Finanzielle Lage) haben daran Teil wie wir eine Krankheit empfinden.

Ich wünsche dir sehr, dass du mit 80 Jahren auch so mit deiner Frau spazieren gehst. Jedoch in den Bergen oder an einem anderen schönen Ort und nicht in einer Onkologie.
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