Ritalinersatz

Allgemeine Fragen und Gespräche rund um Diabetes
Benutzeravatar
Herr_Koch
Chief Graphic Officer
Beiträge: 1940
Registriert: Di 24. Mai 2011, 21:55
Diabetiker / Angehörige: Typ 1
Diabetes seit: 7. Dez 2008
Therapieform: Insulin
Pumpe-/Pen-Typ: FlexPen
BZ-Messgerät: Accu-Chek Mobile, Dexcom G6
Insulin: Fiasp/Tresiba
Wohnort: ZH

Re: Ritalinersatz

Beitrag von Herr_Koch »

Entscheidend ist wohl wirklich die richtige Diagnose. Dann führt auch kaum ein Weg an Ritalin vorbei, denke ich. Was andere, unterstützende Massnahmen wie zusätzliche Bewegung durch Sport oder allenfalls alternative Heilmethoden (für die ich zum Teil selbst für mich nicht viel übrig hab) natürlich nicht ausschliesst.

Zentral ist, dass die Diagnose gesichert ist, was in diesem Fall wohl gegeben ist. Zu oft hat man schon gelesen, dass "schwierige" Kinder dann einfach in diese Ecke geschoben worden sind und die Kinder dann zur einfachen Entlastung medikamentös ruhig gestellt worden sind. Darum find ich die Vorsicht schon berechtigt. Wenn jedoch eine Fachperson die Diagnose gestellt hat, ists wohl achon primär der zu gehende Weg. Bin auch kein Freund von zu schnellen medikamentösen Behandlungen. Aber manchmal führt kein Weg daran vorbei. Im Interesse aller Beteiligter.
Wunderkind

Re: Ritalinersatz

Beitrag von Wunderkind »

Das "lustige" daran ist ja, dass ritalin bei nicht ADHS betroffenen eine eher aufputschende wirkung hat und keine beruhigende.
In gewissen kreisen wird es daher wohl auch missbraucht.

Ich denke wichtig ist die von hut beschriebene korrekte diagnose, vor allem aber eine auf das kind zugeschnittene individuelle behandlung. Ich bin mir nicht sicher, ob da tips wie "versuch doch mal schüsslersalz nr.xy" überhaupt was bringen würden, sogar wenns dem eigenen kind ev. geholfen hat.

Optimal wäre sicher ein kinderpsychologe, der der alternativ medizin gegenüber offen eingestellt ist.
Sport oder ergotherapie nach bedarf. Ein mannschaftssport oder pfadi kann begleitend sicher viel für das selstvertrauen bringen.

Ich habe neulich etwas von einem kostenlosen spiel gelesen.. N back glaube ich heisst es. Wurde von einer schweizerin namen jäggi (?) entwickelt. Soll ein gutes training für den "arbeitsspeicher" sein, ist aber ziemlich langweilig.
hütin
Beiträge: 126
Registriert: Sa 19. Mär 2011, 17:09
Wohnort: ZH-Oberland

Re: Ritalinersatz

Beitrag von hütin »

Wunderkind hat geschrieben: Ich bin mir nicht sicher, ob da tips wie "versuch doch mal schüsslersalz nr.xy" überhaupt was bringen würden, sogar wenns dem eigenen kind ev. geholfen hat.
Das unterschreibe ich doch gleich! Kenne mich mit den Schüssler Salzen zu wenig aus. In der Homöopathie ist es aber so, dass man einen genauen Befund macht und somit das geeignete Mittel auswählt. Bei Husten kommen z.B. etwa 20 Mittel zur Auswahl; es geht dann um eine genauere Differenzierung. Deshalb sollte man auch solch 'harmlose' Mittel nicht einfach so 'nach einem Tipp einer Bekannten' anwenden. Die Nebenwirkungen sind zwar nicht lebensgefährlich können aber auch bei Alternativmedizin auftreten.

Ich möchte hier übrigens keineswegs mit Homöopathie missionieren. Ich komme aus der Schulmedizin und bin grundsätzlich sehr schulmedizinisch eingestellt. Ich habe jedoch auch mit der Homöopathie sehr gute Erfahrungen gemacht...
bianca

Re: Ritalinersatz

Beitrag von bianca »

Für Ritalin gibt es Ersatzprodukte: Concerta, Strattera und vieles mehr. Wichtig ist, dass die Abklärung nicht vom HAusarzt sondern von einem Spezialisten für ADHS gemacht wird... Gruss
Wunderkind

Re: Ritalinersatz

Beitrag von Wunderkind »

Concerta, ritalin usw basieren aber alle auf dem selben wirkstoff.. Ich bin davon ausgegangen, dass nach einer alternative generell zu medikamenten gesucht wird... Aber die gibt es halt nicht immer..
Nike

Re: Ritalinersatz

Beitrag von Nike »

Ich komm jetzt auch noch mit meinem "Senf". Meine beiden Kids haben ADHS. Und beide bekommen Ritalin, bzw. Concerta die Tochter und Medikinet mein Sohn. Beide wurden vor der Diagnose eingehend abgeklärt vom Kinderpsychiater. Zu den Medis gibt es noch regelmässig Gesprächstherapie für beide. Und auch wir Eltern können uns jederzeit mit Fragen und Problemen an den Psychiater wenden und bekommen immer Hilfe. Diese Begleitung schätze ich sehr.
Meine beiden sind durch die Medis nicht "ruhig gestellt". Sie sind immer noch sehr lebhaft und laut. Aber wegen der Medis können sie sich im Unterricht und bei den Hausaufgaben konzentrieren. Es erleichtert ihnen das Leben und die Schule ist für sie gut machbar und nicht ein Ort von ständigem Frust. Meine Tochter hat das Medi nun schon seit 8 Jahren.
In den Schulferien und an den Wochenenden nehmen sie es übrigens nicht.

Grüessli Nike
mikuri
Beiträge: 20
Registriert: Fr 12. Nov 2021, 16:36
Diabetiker / Angehörige: Typ 1
Diabetes seit: 6. Okt 2021
Therapieform: Insulin
Pumpe-/Pen-Typ: Ypsopump
Insulin: Lyumjev
Wohnort: Bern

Re: Ritalinersatz

Beitrag von mikuri »

Hallo zusammen,


Mir wurde selbst mit 8 Jahren eine ADHS diagnostiziert und meine Eltern verzichteten auf eine medikamentöse, wie auch therapeutische Behandlung. Mit 28 absolvierte ich ein Praktikum als Neuropsychologe im Inselspital Bern und arbeitete, unter anderem, in der ADHS-Sprechstunde für Kinder. Dort sah ich die Kinder, hörte von ihren Schwierigkeiten und jenen der Eltern. Meist war es als hörte ich meine Geschichte. Ich beschloss daraufhin mich als Erwachsener abklären zu lassen.
Mit der Diagnose erhielt ich auch Medikamente. Unglaublich wie sehr diese mein Leben verbesserten! Um nichts in der Welt möchte ich zurück. Mit der drastischen Verbesserung meines eigenen Funktionierens kam auch die Einsicht, dass die vielen Schwierigkeiten, das Leid, das Gefühl nicht zu genügen nicht nötig gewesen wäre. 28 Jahre habe ich ohne adäquate Hilfe Leben müssen. Es hat mich unendlich traurig gemacht.

Seither habe ich mich ausführlichst mit dem Thema ADHS beschäftigt. Und ich selbst habe viele Kritikpunkte an der Art und Weise wie diese Variante von menschlichem Funktionieren erklärt wird. Noch mehr Kritikpunkte habe ich an der desolaten Situation der Versorgung von Betroffenen. Es fehlt allgemein an Wissen und Verständnis.
Nebst genetische prädisponierenden Komponenten, wie Allel-Varianten von Dopamin-Reuptake-Pumpen, sind es vor allem soziale Komponenten, die bestimmen, ob eine ADHS diagnostiziert werden kann. Ich kenne etliche Menschen, die mit der biologischen Voraussetzung für ADHS leben, aber nicht darunter leiden. Oft sind dies Kinder von Eltern, die eine gutes Verständnis für kindliche Bedürfnisse und deren Deckung haben. Dadurch entsteht gar nicht erst der Stress, der die Überforderung entstehen lässt, welche primär für klinisch relevante und belastende ADHS-Symptome auslöst.

Leider gibt es viele Familiensysteme in denen die Eltern in spannungs- und konfliktreicher Beziehung stehen, unangemessene Ansprüche an ihre Kinder haben und Leistung über Wohlbefinden stellen. Dies geschieht eigentlich nie absichtlich, sondern erwächst aus der Sozialisation der Eltern in unserer Gesellschaft. Die Kinder bei denen man ADHS abklärt sind dann oft die Symptomträger des Familiensystems. Und werden ausschließlich behandelt. Die Systemkomponente wird gegenüber den Eltern oft nicht angesprochen, da dies schnell als Kritik an ihrem Verhalten aufgefasst wird und sie mit Selbstwertverteidigung reagieren. Dadurch wird die Unterstützung der Familie und insbesondere des Kindes schwieriger.

Standart für die Behandlung einer ADHS ist eine KOMBINIERTE Therapie aus Psychotherapie und Medikation. Leider fällt die elementare Psychotherapie oft unter den Tisch. Menschen mit ADHS funktionieren anders als der Durchschnittsmensch. Um dies als Betroffener und als Familienangehöriger zu verstehen braucht es die Psychotherapie. Der Begriff Neurodiversität ist ein gutes Schlagwort um im Internet Informationen zur Art und Weise des Funktionierens und Erlebens von Menschen mit ADHS zu finden. Auch in den sozialen Medien, auf Instagram und Tiktok, gibt es viele Menschen mit ADHS, die von ihrem Erleben berichten (meist auf Englisch, da das Thema hierzulande sehr schambehaftet ist).

Kurz gesagt: ADHS ist eine komplexe neuropsychiatrische Störung und die Alltagserfahrung von Durchschnittsbürgern erfasst nicht ansatzweise wie es ist tatsächlich damit zu leben. Ich ermuntere alle die diesen Post lesen und sich für das Thema interessieren sich auf das Leid der Betroffenen und Mittel und Wege dieses zu lindern zu konzentrieren. Das wiederholen von Pharma-Verschwörungstheorien nützt den Betroffenen nicht im geringsten. Vielmehr schadet es Betroffenen eher, wenn sie dadurch im Einzelfall sinnvolle medikamentöse Unterstützung ablehnen.

-----------------------------

Zum ursprünglichen Thema des Threads, den alternativen für Ritalin. Es gibt etliche.
Im schweizerischen Compendium finden sich die auf dem Markt befindlichen Präparate zur Behandlung einer ADHS:
https://compendium.ch/search?q=ADHS

Man unterscheidet grob zwei Kategorien von Substanzen: Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien

Stimulanzien erhöhen den Spiegel an Dopamin in den neuronalen Systemen. Die beiden Substanzen, die hier primär eingesetzt werden sind Methylphenidat (Ritalin und andere) und Amphetamine (Elvanse und andere).

Nicht-Stimulanzien wirken auf andere Weise. Die verwendeten Substanzen sind Atomoxetin und Guanfacin. Diese wirken ähnlich wie andere Psychopharmaka erst, wenn ein genügender Blutspiegel erreicht ist. Dafür dann 24/7.

Es gibt viele verschiedene Präparate die sich darin unterscheiden, wie lange sie wirken ( von ca. 3h bis zu 12h), welches Molekül der Stoffgruppe als Wirkstoff enthalten ist etc. Die Thematik ist sehr komplex und es braucht unbedingt einen spezialisierten Psychiater, der die Unterschiede versteht und das richtige Präparat verschreiben kann.

Wichtig zu wissen ist auch, dass es kein ideales Präparat gibt. Jedes Hirn ist anders und es braucht auch einiges an Geduld bis das richtige Medikament und die richtige Dosis gefunden ist. Ich höre oft, dass einfach ein Medikament mit einer gewissen Dosis verschrieben wird und kein kontinuierliches Überprüfen der Wirkung und Dosis stattfindet. Das ist sehr kontraproduktiv und da verstehe ich auch, wenn man eine gewisse negative Sicht auf die medikamentöse Behandlung von ADHS aufbaut. Aber in solchen Fällen sollte man das Gespräch mit dem Psychiater suchen und falls man keinen Erfolg hat den Psychiater wechseln. Bei Diabetes wechselt man ja auch den Diabetologen, wenn man nicht zufrieden ist ;)
ADHS ist wie auch Diabetes etwas, das einem ein Leben lang begleitet. Und je besser das Management, desto gesünder und besser ergeht es einem im Leben.

Gute Quellen für Infos zu ADHS bieten folgende zwei Websites:
https://www.adhspedia.de
-> bietet den aktuellen Stand des wissenschaftlichen Konsens zu ADHS
https://www.adxs.org/
-> ist ein sehr umfassendes Kompendium zu Wissen, Hypothesen, Theorien zu ADHS

Alles Gute euch allen!
Benutzeravatar
hut
Chief Executive Officer
Beiträge: 6431
Registriert: Fr 28. Mai 2010, 22:46
Diabetiker / Angehörige: Typ Unbekannt / Andere
Diabetes seit: 0- 0-1985
Therapieform: Insulin
Pumpe-/Pen-Typ: Tandem t:slim X2
BZ-Messgerät: Dexcom G6
Insulin: Novorapid
Wohnort: Zürcher Oberland
Kontaktdaten:

Re: Ritalinersatz

Beitrag von hut »

@mikuri
Vielen Dank für dein Statement, Menschen mit ADHS ernst zu nehmen und ihnen die notwendige Unterstützung, inklusive allfälliger Medikation, zukommen zu lassen!
Wer einen Tippfehler findet, darf ihn behalten, ich besitze noch einen genügenden Vorrat davon!
Spenden an diabetesclub.ch: https://spende.diabetesclub.ch/
diabetesclub.ch ist auch auf Facebook und Instagram
Carmen75
Beiträge: 10
Registriert: So 18. Jul 2021, 17:27
Diabetiker / Angehörige: Eltern eines Kindes mit Diabetes
Therapieform: Insulin

Re: Ritalinersatz

Beitrag von Carmen75 »

Liebes Glückskäferli

Ich arbeite seit über 30 Jahren als Heilpädagogin und habe Erfahrung mit Kindern, die Ritalin bekommen - gute wie auch schlechte! Mein Fazit = Zusammenarbeit des ganzen Teams rund um das Kind ist das wertvollste (Eltern, Kinderarzt, Psychologe, Lehrer etc.). Das bedingt viel gegenseitiges Vertrauen. Viel Zeit für Gespräche ist nötig. Man muss die Türen öffnen und bereit sein, Einblicke zu geben - auch eigene Grenzen erkennen und kommunizieren. Meist ist es so, dass auch innerhalb eines funktionierenden Teams Meinungen und Haltungen auseinandergehen. Gerade dann ist es wichtig, nicht zuzumachen, sondern alles daran zu setzen, dass Kommunikation weiter möglich ist. Es braucht alle damit es gelingt. Ein Kompromiss ist meist die bessere Lösung als verhärtete Fronten. Es geht ums Kind und nicht darum, selbst Recht zu haben oder sein Gesicht nicht zu verlieren.

Sehr wichtig finde ich immer, dass man ein Medikament nach einem gewissen Zeitraum (mit den ÄrztEN besprechen wann es Sinn macht) wieder einmal weglässt, um zu schauen, wie es dem Patienten ohne geht.
In den Zeiten während das Medikament verabreicht wird - ganz genau auf allfällige nicht erwünschte Nebenwirkungen achten und schnell reagieren, falls da was ist.

Viel Glück!
Benutzeravatar
Glückskäferli
Beiträge: 1407
Registriert: Fr 27. Jan 2012, 23:06
Diabetiker / Angehörige: Typ 1
Diabetes seit: 0- 8-1994
Therapieform: Insulin
Pumpe-/Pen-Typ: Insight
BZ-Messgerät: Aviva ACCU-CHEK
Insulin: FIASP
Wohnort: Otelfingen ZH

Re: Ritalinersatz

Beitrag von Glückskäferli »

Hoi Carmen75

Vielen Dank für dein Input.

Unterdessen hat sich bei mir in der Familie schon viel getan. Gerade sind wir am Abklären ob meine Tochter ADHS / ADS hat. Auf die Auswertung sind wir noch am warten.
Manuel , ihr Bruder hab ich vorsorglich auch mal angemeldet für die Abklärung. Bei ihm würde ich es viel eher vermuten.

Gruss Glückskäferli
Mach das Beste aus deinem Leben.

Lebe dein Leben und geniesse es, wie wenn es dein letzter Tag sei.
Antworten